Steffi in Göttingen

„Ey Steffi, du bist nur zu achtzig Prozent in der bürgerlichen Schicht integriert. Das erfüllt mich mit Freude!“

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Mentaler Stillstand, Skepsis zu Fastnacht und Pizzabäcker Silvio

Mentaler Stillstand gehört an Fastnacht ja quasi zum guten Ton: Ein Mann tanzt also z.B. mit Affenmaske überm Antlitz auf einer Erhöhung. Weil sich der Mann somit ausreichend anonymisiert fühlt, sonnt er sich wohlig in Schamlosigkeit und trägt seinen Leib ansonsten absolut textilbefreit (oder nackend, wie der Volksmund sagt (oder exhibitionistisch, wie die Autorin dieser Zeilen sagt)) ungefragt in die Sehfelder seiner Umwelt. Die Leute um den Nackenden herum lächeln milde, aber nicht entrüstet.

Und genau hier liegt für Fastnachtsskeptiker ein bisschen der Hase in seinem Pfeffer: Außerhalb vom Rosenmontagsbrimborium muss man nämlich nicht mal eine Affenmaske tragen, damit die Leute um einen herum ihre gesammelten Augenbrauen und noch diverse andere Gesichtsaccessoires (wie Nasen) misbilligend hochziehen. Wenn sich zB eine Frau morgens für die Arbeit in einen grauen Pulli oder in eine beige Fleecejacke wirft (letztgenannte ist vielleicht zurückhaltend gemustert, aber wirklich dermaßen zurückhaltend, dass man sofort einschläft, will man mit ihr Smalltalk betreiben),  grienen der Frau die Arbeitskollegen genauso freundlich wohlwollend zu, wie sie es auch beim nackenden Affenkopf getan haben. Wenn sich diese Frau aber morgens freudig modisch entgleisend einen Vollbart umschnallt, ziehen die Arbeitskollegen reihenweise rümpfend ihre Gesichtsaccessoires hoch – etwas, das sie beim nackenden Affenkopf nicht getan haben.

Eben diese Vorliebe für befohlene Ekstase bei gleichzeitiger Missbilligung von Andersartigkeiten im Alltag scheint Fastnachtsskeptikern kritisierbar.  Inbrünstig mißgünstelnd sagen sie sich: „Fastnachtsmitmacher sind solche, die dröge Regeln lieber als aufregende Ausnahmen mögen. Volksgaudi auf Kommando – wie lahm!“  So grollen die Fastnachtsskeptiker mehrere Jahre vor sich hin und gegen die befohlene Maskerade. Dann wacht so ein Fastnachtsskeptiker aber eines Morgens versehentlich in einer italienischen Mülltonne auf. An ihm dran kleben fröhlich verteilt Nudelmatsch, Pizzasoße und Canneloni. Er guckt an sich runter und staunt ob der zufälligen Verkleidung: Denn er sieht original aus wie ein neapolitanischer Müllberg!

(Anleitung Verkleidung „Neapolitanischer Müllberg“: Von Freunden Italo-Müll, also Spaghettipackungen, Pizzakartons oÄ einsammeln. Alles an einen Müllbeutel kleben. In diesen galant hineinschlüpfen. Ums Bein neckisch eine Plastiktüte schlingen. Auf den Kopf einen Tiramisudeckel klemmen und freundlich lächeln. Laut rufen: „Mi chiamo Müllbergo Napoletano!“ Dann sich freuen, denn man ist fertig und 1a verkleidet. Weil man unter der Plastiktüte wie Hölle transpiriert, freut man sich nach einer Minute aber schon nicht mehr ganz so doll.)

Der Skeptiker nun fühlt sich als Müllberg so richtig gut, er hat Blut geleckt in Sachen Maskerade und lernt eifrig dazu: Am besten sind solche Maskeraden, bei denen sich die menschliche Eitelkeit vor langer Zeit verabschiedet hat. Nur wer sich vor sich selbst ekelt, ist der Meister der Maskerade! Mit Balsamico und Soja-Soße lassen sich bspw Klamotten im Bad prima einfärben, so dass es aussieht, als wäre jemand darin zu großen Teile verblutet – auch für den Skeptiker ein zufriedenstellendes Ergebnis. Vor allem, weil es die nächsten Tage beim Zähneputzen im Badezimmer so angenehm eigentümlich nach China-Imbiss riecht.  Wenn der Skeptiker sich dann noch Zahnschwarz ungleichmäßig aufs Gebiss wirft und freundlich umherlächelt, macht er erfolgreich zombiesque den Kindern auf der Straße Angst. Und das macht selbst dem Fastnachtsskeptiker Spaß, ja, er jauchzt geradezu heimlich versteckt hinter seiner skeptischen Gesichtsfassade, und manchmal sogar vor ihr:

-> Fastnachtsfazit deshalb: Es ist vielleicht nicht so schön, sich auf Kommando zu verkleiden. Sich gar nicht zu verkleiden, ist aber immer noch viel weniger schön. Verkleiden ist Gaudi erster Güte – dies muss gehuldigt werden. Denn von den rosenmontaglichen Streetstyles kann sich selbst die Kastanienallee (also die weltbekannte Hipstermeile in Braunschweig, nicht diese unbeachtete Gasse in Berlin) mal locker eine oder zwei Scheiben abschneiden:

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Fertigkartoffeln, Schuppenmonster und Mr Bean

Im Grunde kann man ja auch abseits jeder gesellschaftlich akzeptierten Produktivität ein erfülltes Leben führen: Man hat Hunger. Dann kocht man sich eine Kartoffel. Dann muss man mit seinem kugeligen Kartoffelbauch ein wenig der Fläzerei fröhnen. Dann ruft vielleicht jemand an. Und wenn dieses freundliche Parlieren am Fernsprecher beendet wird, ist man wieder hungrig. So könnte es eigentlich ewig weiter gehen.

Weil man sich aber irgendwann mal – aus heutiger Sicht muss dies hochgradig versehentlich geschehen sein –  in fremdbestimmte Arbeitszwänge begeben hat, wacht man eines Tages auf und merkt, dass man jetzt sofort seinen Uniabschluss machen muss.  Dann hat man plötzlich keine Zeit mehr für Fläzereien und Knollenkocherei und kauft sich bei Rewe eine pappige Fertigkartoffel. Anrufe nimmt man nicht mehr in heiterer mentaler Aufnahmebereitschaft für die Worte des Gesprächspartners, sondern von Abgabeterminen krisengebeutelt nur mit halbem Ohr entgegen.

Damit man nun ja nicht in die Versuchung kommt, in seinen früheren Lebensrhythmus zurückzufallen, erledigt man die Arbeit nicht daheim in einem angenehmen Umfeld, sondern begibt sich gezielt an einen Platz, an dem agradable Gedanken zu Kartoffelknollen keinen Platz haben, weil jemand alles mit Büchern vollgestellt hat: 

1. Stadtbibliothek: Um sich ein paar Worte von Max Goldt zu borgen: „Menschen, die sich ohne Reiseabsicht in der Nähe von Bahnhöfen aufhalten“ ähneln jenen, die um die Mittagszeit in der Stadtbibliothek sich die Zeit und – man muss es frank und frei sagen – auch manchmal andere vertreiben.  Neben einigen vertöpfelten Rentnern sind hier sämtliche Sitzplätze um 11h30 okkupiert von eher abgerissenen Gestalten mit wahrscheinlich eher lockerem Wohnsitz. Alle, alle, alle lesen stapelweise Zeitungen. Neben einem selbst pflügen sich zwei Männer mit fleckigen Hemden systematisch durch die deutsche Qualitätspresse. Der eine trägt graue Handschuhe, bei denen die Finger rausgucken und von denen man sich immer vorstellt, dass die in ihnen steckenden Hände an brennenden Mülltonnen gewärmt werden.  Die Männer sind umgeben von Alkoholwolken, die man als atmender Sitznachbar nicht wohl, aber doch übel inhalieren muss. Der Mann mit den Mülltonnen-Handschuhen liest in der FAZ gerade einen bleiwüstigen Einseiter über den verstorbenen Dirigenten Kurt Sanderling. Die eigene Abschlussarbeit kommt einem plötzlich ganz unwichtig vor im Lichte dieser reizvoll demonstrierten Schere zwischen innerer Hochkultur und äußerlichem Abriss. Und als man selbst den Bestand an Comics in der Kinderabteilung auscheckt, ist einem das in dieser Aura der Allgemeinbildung fast peinlich. Das Auschecken bringt aber eh nix, denn die Auswahl ist dürftig und selbst der einzige Tim und Struppi-Band wird einem pädagogisch verargt, weil er auf Französisch ist.

2. Zentrale Unibibliothek: Vor allem an britischen Eliteuniversitäten gibt es Bibliotheken, die so altehrwürdig aussehen, dass man schon schlau wird, wenn man nur lang genug die schönen Holzvertäfelungen im Lesesaal sreichelt. Die Mainzer UB ist ein grauer Kasten mit noch grauerem Boden, hat dafür aber 22 Stunden täglich geöffnet – also auch in tiefer Nacht. Im Kopf stellt man sich so eine umnachtete Bibliothek vor wie die ideale Kulisse eines Horrorfilms, wo in jeder dunklen Ecke blutrünstige Schuppenmonster von fernen Planeten und Psychomörder rumhängen. So ist dies aber nicht. Die Lehrbuchsammlung sieht zwar wegen Fehlbeleuchtung trotz Überirdischkeit wie ein einigermaßen unheimliches Kellerzimmer aus. Aber: Auch um 23h30 ist es hier so voll, dass an Horror nicht zu denken ist. Massen junger Männer pimpen ihren Verstand mit dosenweise Red Bull und hängen cliquenweise am Snackautomaten ab. Es summt hier nachts sehr geschäftigt, wie eben konzentrierte Stille so summt. Und keine Leiche weit und breit.

3. Fachbereichsbibliothek: Anonymität ade! Immer wieder dieselben obskuren Gestalten treffen sich hier, weil sie alle Kommilitonen sind: Einer, der immer, immer, immer da ist. Einer, der so laut tippt, dass man weiß, es liegt nicht an einer ungünstigen Tastatur, es liegt an ihm. Die eigene empirische Stichprobe ergibt: An einem durchschnittlichen Wochentag um 11 Uhr hat in der FB von sieben Menschen nur einer ein Word-Dokument geöffnet. Ansonsten überall systematische Rumdrückerei mit sozialen Netzwerken, Spiegel Online und Amazon. Ab 17 Uhr leert sich die FB dann immer schlagartig. Morgens hatte man selbst eigentlich großspurig angekündigt „heute bis halb zehn zu bleiben um wirklich mal was zu schaffen.“ Vor allem wenn man jetzt mit Freunden da ist, fehlt mit zunehmder Leere aber auch jegliche soziale Kontrolle durch Fremde.  Und man kann sehen, wie sich die Produktivität volle Pulle verabschiedet. Warf man sich mit Rücksicht auf die Konzentration der Anderen (bzw des Einen, der gerade nicht am Onlineshoppen ist) davor nur im Stundentakt einvernehmliche Leidensblicke zu, greift man nun unter lautem Giggeln wahllos Bücher aus den Regalen und mokiert sich über ein US-amerikanischen Kochbuch aus den 1950ern.

Fazit: Nachdem man seinen müden Körper drei Monate lang jeden Tag in Bibliotheken geschleppt hat, nimmt man sich vor, am Tag der Abgabe der Abschlussarbeit nackt durch alle Eingangskontrollen zu rennen, um die neu gewonnene Freiheit veräußert am eigenen Körper zu zelebrieren – Geronimo!

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Ich spaziere durch Flammen: Irland, Barack Obama und freundliche Inkompetenz

Ich wollte, musste und konnte für eine Woche Dublin & eine liebenswürdige Freundin in Cork besuchen und in Irland allerlei – meist – agradable Dinge erleben.

Aus Mangel an Zeit und auch irgendwie an Muße habe ich mich auf die Reise gar nicht vorbereitet – keinen Reiseführer geshoppt, keine Internetrecherche betrieben, nullkommanix. Ist das jetzt Merkmal eines ganz besonders abgebrühten Touristen oder einfach nur dumm?  Naja, auf dem Weg zum Flughafen raffe ich zumindest mal gedanklich zusammen, was ich mit Irland assoziiere: drollige Flötenmusik, ein Zeitungsfoto von einem Guinness trinkenden Barack Obama, Regen, IRA, den völlig überschätzten (weil lahmen) Indiefilm „Once“ über einen jammerigen Dubliner Straßenmusiker, einen ziemlich pleiten Staat. Nicht durchweg positive Reminiszenzen also, aber deshalb ja nicht automatisch uninteressant.

Billigfluglinien haben das Flugerlebnis durch Streichung der Mahlzeit an Bord, Einstellung hässlicher Flugbegleiter/-innen und Einspielen launiger Trompetengeräusche bei der Landung entmythisiert, vielleicht sogar leicht vertrasht: Im Flug nach Dublin (und nicht nach Malle!) klatschen die Passagiere deshalb wohl auch einvernehmlich bei der Landung.

Es war ganz richtig, sich nicht im Vorhinein über etwaige Dubliner Szeneviertel, Landesmentalitäten und Kulturhighlights zu informieren. Es hat tatsächlich einen ganz besonderen Charme, in einer Stadt, in der man keinen kennt, völlig alleine anzukommen. Ich fühle mich frei und auf eine gute Art einsam, als ich übers irische Kopfsteinpflaster laufe – und bin dabei völlig vorurteilsfrei, da eben nicht vorher durch Reiseliteratur verdorben:  Aha, so sehen also die Iren aus. Aha, es regnet also tatsächlich immer.  Uhu, und der Regen ist ein ganz hinterhältiger: von der Sorte, die man solange als „Niesel-“ abwertet, bis man plötzlich komplett durchnässt ist. Mein absolut unvoreingenommener erster Eindruck: Das finanzkrisengebeutelte Dublin hat einen schäbigen Charme, den ich so ähnlich bisher nur im postindustriellen, grauen Glasgow erlebt habe: Überall sind Offices oder Läden zu vermieten oder gar zu kaufen, manche wirken mit kompletter Einrichtung hinter verstaubten Fenstern wie fluchtartig verlassen, manche sind nur notdürftig verrammelt.

Bevor es mit dem Bus nach Cork geht, bleibt genug Zeit,  um die kulturellen Unterhaltsamkeiten Dublins zu entdecken! In einer Touri-Info bekomme ich eine Barack Obama-Stadtkarte, die wollte der gute Mann wohl nicht mitnehmen bei seiner Visite dieses Jahr. Ich will die Sebastian Guinness-Galerie besuchen, in der sich lauter moderne Kunst versammeln soll. Komisch:  an der Stelle, wo sich die Galerie laut doch noch recht akuteller Barack Obama-Stadtkarte befinden soll, ist nur eine Haustür ohne Klingelschild. Ich frage einen rothaarigen Iren am Empfang einer anderen Kunstgalerie danach. Er ist sehr nett, aber auch sehr unwissend. Auch seine zu Hilfe gerufene Kollegin ist sehr nett, aber auch sehr unwissend. Ich verallgemeinere flugs und denke: „Aha, in Irland paart sich also sachliche Inkompetenz mit freundlichem Gemüt – eine ziemlich charmante Mischung, die man in Deutschland wohl eher in genauer Umkehrung findet.“ Äußerlich scheinen die Iren übrigens tatsächlich rothaariger als andere Völker, zudem sehen viele so schnapsnasig aus, als hätten sie nicht nur eins, sondern gleich mehrere mittelprächtige Alkoholprobleme. Und Englisch mit irischem Akzent kling wie eine Mischung indischer und dänischer Klangfarben. Ominös!

Die Innenstadt von Dublin ist schön bunt, ich wünsche mir ja, dass wir in Deutschland auch unsere Häuser öfter in schrillen Farben anstreichen dürften/ könnten/ wollten. Die Häuser sind von vorne also aus Sicht eines Fußgängerzonen-Walkers wie mir ziemlich farbenfroh unterwegs, von hinten aber ziemlich schrammelig und durchaus slum-fähig. Zusammen wirkt das dann auf charmante Art verfallen. Zudem gibt es hier immens viele Straßenmusiker, die sich irgendwo hinstellen und teilweise unmelodiöse, dafür aber gefühlslastige, teilweise aber auch ziemlich schicke Songwriter-Musik fabrizieren.

Temple Bar ist der kneipenlastige Touri- und Szenebezirk von Dublin, an einer beliebigen Haustür sehe ich zufällig ein rätselhaftes Schild, das erzählt, dass die Sebastian Guinness-Galerie umgezogen ist, aber wohin, steht da nicht. Ach was.

Wir wohnen eine Nacht im Gogarty`s Hostel mitten in Temple Bar. Das Personal ist freundlich, auf dem Zimmer herrscht ein leichter Modergeruch, nachts wird draußen irische Musik gefidelt, Blechtonnen werden herumgeworfen. Aber dieses absolut wirre  Schild amüsiert mich so sehr, dass ich derart Unannehmlichkeiten einfach vergesse:

Hach, was liebe ich solche Fehlleistungen. Mein Haar brennt lichterloh, ich flaniere als walkende Fackel gen Ausgang. Mein Hostelzimmer riecht verschwelt – Ich trolle mich lässig. So sieht`s doch aus.

Dann geht`s mit dem Bus auf nach Cork, einer mittelgroßen Stadt im Süden von Irland. Der Bus klappert ungalublich viele Käffer ab und biegt in ebenfalls unglaublich vielen Kreiseln immer gegen den „Cork“-Richtungspfeil ab, so dass ich mich fast ein wenig beunruhige. Aber die Massen an Schafherden auf den umliegenden Weiden wirken meditativ und nach vier Stunden Fahrt kommen wir auch tatsächlich in Cork an. Hier machen wir u.a. folgende bemerkenswerte Erfahrungen:

Einen Ausflug in den kleinen Badeort mit dem unaussprechlichen Namen Cobh, der sich damit schmückt, dass er der letzte Stop der Titanic war, bevor diese unterging – welch zweifelhafter Ruhm! Wir sehen einen Seehund in freier Wildbahn herumtollen – also im Meer. Auf den Schock müssen wir uns flugs freaky Süßigkeiten kaufen.


Im Cobh Heritage Centre werden wir über die durch Kartoffelfäule ausgelöste Hungersnot informiert, die im 19. Jahrhundert immerhin eine Million Iren dahinraffte und eine Einwanderungswelle in Richtung Amerika auslöste – das erklärt auch, warum man in Irland vor allem auf amerikanische Touristen stößt, die hier auf den Spuren ihrer Vorfahren wandeln (manchmal auch watscheln – das Übergewicht ist teilweise doch beträchtlich bei dieser  spezifischen Touristengruppe).

Mit einem Bus fahren wir den „Ring of Kerry“ ab, eine ziemlich schnieke Küstenstrecke im Süden Irlands. Der Busfahrer heißt John und würzt seine Durchsagen mit persönlichen Anekdoten aus der eigenen Kindheit (so informiert er uns z.B., dass er als Fünfjähriger mal von einem Stier gejagt wurde). Zwischendrin wird irische Fidelmusik eingespielt, die erst nach einer Weile penetrant wird. Die Landschaft ist schön, fast schon skandinavisch wild, aber manchmal auch märchenhaft verwunschen – man versteht hier schon irgendwie, warum die Iren einen Hang zu Fabelwesen im Allgemeinen, und vor allem zu Kobolden pflegen. Mich würde es zumindest nicht wundern, wenn ein solcher gleich um die Ecke biegen würde. Die Wiesen sind von einem so saftigen Grün, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe.

Dann ist die Woche um und ich importiere noch schnell günstige und deliziöse Hellmann`s Mayonnaise sowie Essig-Chips. Meine Tasche geht eigentlich nicht mehr als Handgepäck durch, die Mayonnaise ist zudem volumen- und konsistenztechnisch durchaus sprengstoffverdächtig, aber der irische Flughafen-Mensch aber zwinkert mir freundlich-inkompetent zu und lässt mich durch.Im überfüllten Bus vom Flughafen Hahn nach Mainz dann hat der Fahrer dann ein Ticket mehr verkauft als es Sitzplätze gibt. In der hintersten Reihe drollen sich u.a. zwei winzige Kleinkinder, würde man hier ein bisschen zusammenrücken, wäre Platz für alle. Das geht aber nicht, da sind sich die deutschen Urlauber einig. Als ein alter Mann dann auch noch sagt, dass Ordnung schließlich sein muss, will ich plötzlich ganz schnell zurück nach Irland.

ps: Noch etwas Lohnenswertes aus Irland: Der Regisseur Martin McDonagh, verantwortlich für die wunderbare Brutalo-Komödie „Brügge sehen und sterben“ . Auch sein erster Kurzfilm „Six Shooter“ ist bitterböse und sehenswert. Hier gibt es ihn.

Gutes in Dublin im Überblick:

Trinken: Guinness haben wir in der ambientetechnisch recht szenigen Dice Bar getrunken – der Barmann pöbelte ein wenig seltsam gegen uns Ausländer, als wir irgendwann auch Cider bestellten, hatte aber Frank Zappa auf den Oberarm tätowiert, das entschädigte.

Kultur: Staatseigene Museen und Galerien sind idR umsonst, deshalb lohnen sie sich extremst. Ein bisschen abseits vom Zentrum, aber besonders lohnenswert ist das Irish Museum of Modern Art, hier gibt es viele einzelne ziemlich entertainende Foto- , Bild – und Videoausstellungen.

Gewohnt: zwei Nächte im Generator Hostel (unpersönliche Kette, in Dublin ganz neu aus dem Boden gestampft, aber nur 10 Euro/ Nacht im 6-Personen-Zimmer, günstiges Frühstück, sauber), eine Nacht in Gogarty`s Hostel ((s.o.), sehr nettes Personal, sehr laut, da mitten in Temple Bar, wo die ganze Nacht irische Musik gefidelt wird und Blechtonnen herumgeworfen werden, leichter Modergeruch, mittelsauber)

Einkaufen: Ein internationaler Studentenausweis lohnt sich, dann wirds bei Ketten wie Topshop, Urban Outfitters, Forever 21 idR um 10 % billiger. Irland ist die Heimat von der Billigkette Primark (heißt hier aber „Penney`s“) – in der Henry Street gibt es die größte Filiale, die ich je gesehen habe. Ein schöner kleiner Laden mit vielen mädchenhaften Kleidern ist Carousel, zudem gibts kleine Plattenläden und ein bisschen Vintage-Klamotten in der George`s Street Arcade.

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Wildpastete, Snoopy und eine Katze namens „Krapfen“

Wer früh aufsteht, hat mehr Zeit zu scheitern. Diesen Spruch kann man sich gut und gerne auf ein Tshirt drucken – denn wir alle vegetieren morgens doch oftmals gut und gerne in großzügigen Kissenlandschaften vor uns hin und schieben das schlechte Gewissen ob der Berge unerledigter Aufgaben einfach noch ein bisschen fort von der Bettkante. Bei Katzen indes sieht das ganz anders aus: Die vegetieren morgens idR in fremden (da menschlichen) Betten vor sich hin und haben gar kein Gewissen.

Der Name eines mir persönlich bekannten Katzentiers lautet „Snoopy“ – das kann einem seltsam vorkommen, weil hier ein Tier offenbar nach einem Hund benannt wurde, aber nicht so aussieht, riecht oder agiert wie einer. Aber da ich selbst in jugendlicher Verfehlung mal einen Wels auf den Namen „Diddl“ taufte – in Anlehnung an eine aus heutiger Sicht unerträgliche Wüstenmaus, die sich vor allem Ende der 1990er als Motiv auf diverse Kaffeebecher verirrte –  darf und werde ich an dieser Stelle nicht urteilen.

Wir hatten das Katzentier Snoopy auf jeden Fall für drei Wochen in Urlaubspflege. Mal stand es nachts einfach auf meinem Kopf. Mal warf es Katzenstreu aus dem Katzenklo. Und manchmal starrte es mich solange an, dass ich mich nicht mehr traute, mich zu bewegen. Ich mochte das Katzentier. Jenny mochte es so mittel, malte das Katzentier dafür aber sehr treffend.

Das Leben mit der Katze ist kein reines Zuckerschlecken. Irgendwann nenne ich Snoopy versehentlich „Lucky“, fühle mich wie Alf („Du bist jetzt keine Katze mehr – du bist ein Krapfen!“) und bin erschreckt:  Ob ich Snoopy wohl unterbewusst essen will? Gründe hätte ich ja eigentlich schon: Zur Katze führt man eine Beziehung, von der Freunde sagen würden, sie sei nicht gut für einen. Die Katze nimmt (Fressen, Streicheln, Entertainment mit Schnürsenkeln) , gibt aber nix oder nur dann, wenn ihr danach ist: Die kann locker erstmal ganz charmant ihren Kopf unter die eigene Hand kuscheln – nur um nach zwei Minuten einfach abzuhauen und sich für den Rest des Tages unters Bett zu rollen. Auch scheint die Katze nicht so smart, ihre Wahrnehmung funktioniert völlig abseits von Regelmäßigkeiten. Draußen bellt ein Hund eher leise; Reaktion Snoopy: Rauf auf die Flurkommode und -wisch! – wie von der Tarantel gestochen runter unters Bett. Draußen bellen 20 Hunde, ich selbst würde jetzt ganz gerne unters Bett; Reaktion Snoopy: Lethargie total. Nicht gerade helle, aber ziemlich narzisstisch – eine an sich garstige Mischung! Aber wenn die Katze einen dann so handschmeichelt mit ihrem kleinen, knuffigen Köpfchen stellt man ihr doch wieder einen Fressnapf hin.

Apropos Fressnapf: Die gekauften Töpfchen sagen laut Etikett, sie seien Hasenragout, Rind in Aspik oder Wildpastete. Ihr Inhalt hingegen macht diese Differenzen nicht: Ein Stück Knorpel knorpelt in allen Packungen gleich vor sich hin, und irgendwie riecht eh alles gleich nach Thunfisch. Der kleine, aber feine Würgereiz beim Öffnen einer Dose Katzenfutter gehört alsbald zur Alltagsroutine.

Das eigens für ihn gekauften Kratz-Entertainment-Center ignoriert Snoopy total, als ich ihm einen leeren Umzugskarton hinwerfe, geht er aber ab wie, haha, Schmidts Katze. Und dann hockt er da in seinem Karton und guckt einen aus grünen Augen an und lauert – auf was, weiß er dabei vermutlich selber nicht mal. Andererseits: Wenn man sieht, wie Snoopy mit meinem geflochtenen Lederhaarband umspringt, will man nicht unbedingt die nicht vorhandene Maus sein, die diesem Katzentier in die Pfoten fällt.

Am Ende der Pflegezeit überlegen wir, dass das perfekte Haustier eine Mischung aus Hund und Katze wäre. Eine Hutze also. Oder ein Kand. (Anmerkung: Eine „Hutze“ ist laut Wikipedia auf alemannisch eine getrocknete Birne als Dörrobst. Das fasziniert doch ein wenig.) Im besten Falle wären bei einer Hutze alle guten Eigenschaften der jeweiligen Spezies vereint: Man müsste nicht Gassi gehen, die Hutze würde katzenlike durch Eigenputz auch nicht stinken, wäre aber gleichzeitig ein soziales Wesen, dass einem den Ball, den man ihm geworfen hat, auch wiederbringt und sich nicht einfach aufs Sofa fläzt oder einen solange anstarrt, dass man es mit der Angst zu tun bekommt. (Im schlechtesten Falle würde die Hutze aber aufwendige Spaziergänge einfordern, stinken und wäre ein starrender, anti-sozialer Vierbeiner. Die Kreuzung bleibt also ein perfides Spiel mit dem Risiko!).

Als Snoopy geht, vermissen wir ihn dann aber irgendwie schon. Jetzt steht nachts auch niemand mehr auf meinem Kopf.


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Im ZDF-Fernsehgarten: Thomas Anders, die Killerpilze und Blue Valentine

Nachdem ich David Hasselhoff im vergangenen Jahr leider verpasste, wird nun endlich mal bei einer Aufzeichnung vom ZDF-Fernsehgarten vorbeigecheckt. Hier treten lauter Artisten auf, heute u.A.: Die Killerpilze, Thomas Anders und ungarische Turner in Lack und Leder.

Moderatorin Andrea Kiewel (für Freunde und auch sonst alle „Kiwi“) sagt zu allen „Schatz“. Gotthilf Fischer sagt, alle sollen jetzt mitsingen in Hamburg, Bremen und Rio. Eine Aneinanderreihung, die auf mich völlig disparat wirkt: Zwei norddeutsche Städte mit Hafenfesten und eine Millionenmetropole mit weltbekanntem Karneval. Solche kruden Aufzählungen sind wohl die Überleibsel einer im deutschen Schlager tief implementierten Illusion von weltläufiger Hafenromantik, auf die auch schon ein Freddy Quinn in den 1960er Jahren baute:

Ein studentischer Platzanweiser fragt uns, ob wir nicht auf die besseren Sitzplätze in der Nähe der Kameras wollen. Meint der das ernst? Ich trage einen grünen Parka und rote Haare. Wir sind doch hier bei leichter Unterhaltung, nicht bei einer Anti-Atomkraft-Demo. Das durchschnittliche Fernsehgarten-Publikum trägt eher so Zweiteiler in frühlingshaften Farben und gefällige Blumenmuster. Aber das durchschnittliche Fernsehgarten-Publikum ist auch, jetzt mal  grob über den Daumen gepeilt, 40 Jahre älter als ich. Weil man die eigenen Falten aber nicht so gerne im Fernsehen sieht, muss hier junges Fleisch hin. Ob im Parka oder nicht, scheint egal.

Die Killerpilze verpassen wir gerade so (ob leider oder nicht vermag ich irgendwie nicht beurteilen).  Ich muss daran denken, dass die sich mit ihrem Namen ja irgendwie schon ein Verfallsdatum gegeben haben. Nach der Pubertät kann man sich mit so einem Bandnamen nur noch auflösen. Wobei: Itchy Poopzkid gibt es jetzt auch schon seit über zehn Jahren.

Dann das Highlight: Thomas Anders und Uwe Fahrenkrog-Petersen (starrte bei einer Popstars-Staffel mit ungünstig gezupften Augenbrauen immer leicht geifernd in die Kamera) treten als, ähem, Modern Talking ohne Dieter Bohlen auf. Ihr Lied heißt „Gigolo“ (Auch hier lässt sich wiederum auf disparate Sinnreihungen im Schlagergeschäft hinweisen – die Aufzählung „Thomas-Uwe-Gigolo“ ist schon arg entzaubernd, wenn man sie sich so auf der Zunge zergehen lässt. Wenn man dann noch die zwei ältlichen Gesichter der Solariumfans Uwe und Thomas dazu anschaut, ist die Schere im Kopf groß.) Das Lied von den Solariumfans ist aber schmissiger Synthie-Pop und haut in genau dieselbe Kerbe wie auch Modern Talking, ist aber viel zu ehrlich gemeint, um im Zuge einer Revival-Trash-80sWelle mitzuschwimmen. Gibt es ein Video? Es gibt eines aus dem Sat1-Frühstücksfernsehen, man beachte hier auch die seltsam attraktive Frauenband im Hintergrund und die Uhrzeit dieser TV-Premiere, die wohl auf alle Hausfrauen jenseits der 40 gemünzt ist.

Uwe hat ein Umhängekeyboard und er sagt: „Ich habe diese Keyguitar bei Ebay ersteigert.“ Kiwi sagt ganz schnell, dass es ja auch noch andere Online-Marktplätze gibt, einmal hat sie ihren Job beim ZDF ja schließlich schon verloren, weil sie allzu häufig Markennamen droppte. Aber ich verstehe auch, warum das ZDF sie wieder wollte, denn jetzt veranstaltet sie mit Thomas Anders ein Eierschnee-Wettschlagen und spricht dann – haste nicht gesehen – mit Jan Hartmann, dem smarten Arzt aus der Serie „Herzflimmern“. Sie moderiert die alle souverän weg, Respekt. Kiwi ist so eine, die ein bisschen zuviel plappert – aber nicht soviel, dass man ihr den Mund zutackern möchte, eher so ein bisschen wie eine Schwiegertochter, die man ganz gerne hat, die aber jetzt auch nicht ständig zu Besuch sein muss.

Ungarische Artisten tragen seltsame Sado-Maso-Kostüme und machen martialische Motorrad-Akrobatik. Des sinnlichen Kontrastes wegen gucke ich immer abwechselnd von einem begeisternd klatschenden Mann in gelbem Leinensakko und mit Jogi-Löw-Frisur zu den Lack-und-Leder-Ungaren.

Sunrise Avenue warten hinter uns auf einer Bank auf ihren Auftritt, machen Späße und sind genauso rockig, wie man sich eben Rocker vorstellt, die so am Sonntagvormittag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auftreten. Der Sänger hat ein unoriginelles Tattoo  „Forever Young“ auf dem Unterarm, entspricht dem aber wohl nicht mehr ganz so. Einen Tischplatz würde er aber bestimmt noch bekommen:

Wir laufen durch den Backstage-Bereich, hier demonstriert sich einmal mehr beispielhaft, was ich schon immer vermutete: Die Leute, die Fernsehsendungen machen, sind nicht dieselben, die diese auch gucken. Klar, es ist ein Klischee, aaaber: Hier sieht keiner so aus, als ob er sich die neue CD von Sunrsie Avenue (geschweige denn überhaupt noch CDs) kaufen würde, sondern eher so, als habe er ein Studium der Medienwissenschaften und Kultur abgebrochen.

Sanitäter joggen mit einer Trage herum. Ich bin ein bisschen fies und denke, dass auch schon ziemlich viel dazugehört, um im Fernsehgarten ohnmächtig zu werden.

Die Sonne scheint, die Leute sind froh. Hinter uns tanzt eine dicke Frau mit einem dicken Kind im Arm,  der Mann im sonnengelben Leinensakko und Jogi-Löw-Frisur wippt mit. Das hat ja auch was, irgendwie: Wenn ich wohin gehe, um mich abseits von Ansprüchen an Musik und Ambiente zu amüsieren,  geht das meistens nur mit viel Tequila. Dann habe ich Spaß – meinetwegen auch mit Gigolos namens Uwe. Die Menschen hier scheinen das anders zu machen: Die klatschen bei Thomas Anders mit, singen mit Gottfhilf im Kanon und tanzen auch noch beim poppigen Teenie-Punk der Killerpilze, ohne sich um das Playback, allzu simple Melodien o.ä zu scheren. Die erlauben sich das Amüsement einfach abseits qualitativer Standards und trinken dabei nicht mal Tequila, sondern nur Apfelsaftschorle. Und jetzt mal ganz ehrlich: Ich bin fast ein bisschen neidisch auf dieses Talent.

Jetzt ist der Fernsehgarten vorbei und Kiwi geht auch vorbei und zwar an uns. Sie trägt jetzt beqeume Birkenlatschen-Treter, nicht mehr rote Pumps.

Als Kontrasprogramm zum Fernsehgarten möchte ich doch noch was empfehlen und zwar den Film „Blue Valentine“ mit Ryan Gosling und Michelle Williams. Er ist zauberhaft und traurig und nicht mit Musik von Modern Talking , sondern von Grizzly Bear und kommt am 4. August in Deutschland ins Kino:

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Verdauungstrakte und Serious Games in Darmstadt

Darmstadt ist neben Schweinfurt und Pforzheim ja wohl eine Stadt, die schon durch ihren unglücklichen Namen jedes Jahr unzählige Touristen verprellt. Bevor ich mich trotz dieser namentlichen Entgleisung dorthin begebe, interessiert mich deshalb, wie es überhaupt dazu kam. Selbst ausgesucht hat sich die Stadt ihren Namen mit inkludiertem Verdauungstrakt ja wohl eher nicht.

Auf der offiziellen Homepage der Stadt findet sich nichts zur Namensgebung. Ich suche aber auch gar nicht richtig, denn meine Aufmerksamkeit wird sofort gefangen genommen von einem faszinierenden Aufmacheratikel. Dieser ist prominent platziert und verkündet, dass in Darmstadt derzeit Bäume mit für Menschen ungefährlichem Schädlingsbelkämpfungsmittel gegen Eichenprozessionsspinner  behandelt werden. Diese Nachricht mutet auf so spektakuläre Weise uninteressant an, dass ich sie irgendwie doch lesen muss. Vielleicht ist es eine Trotzreaktion gegenüber der permanenten, oftmals skandalhaschenden Informationsprasselei durch Spiegel Online. Auf mich zumindest übt es nach einem Tag voller toter Osama Bin Ladens einen seltsamen Reiz  aus, sich Informationen reinzutun, bei denen ich absolut sicher sein kann, dass mein Hirn sie umgehend wieder abtoßen, wenn nicht gar einfach glatt kognitiv ignorieren wird. Ein Phänomen, dass ich übrigens auch immer wieder an mir selbst beobachte beim Lesen von ADAC-Magazinen, Kleingarten-Vereinsheften und Fachmagazinen über Guppy-Zucht. Verwundert kopfschüttelnd, irgendwie gleichmütig, aber doch amüsiert blättere ich dann durch solche Lektüre,  in der angenehmen Sicherheit, dass diese Informationen absolut keine Folgen für mein kleines, aber feines Denkertum haben werden.

Um nicht komplett abzudriften in Richtung Fischmagazine und anderem Gedöns: Darmstadt benennt sich nicht nach einem Darm. Das ist nicht allzu schade. Tatsächlich herrscht Unklarheit über den Ursprung des Namens: So wird z.B. spekuliert, dass Darmstadt die befestigte Siedlung eines königlichen Wildhübners (?) mit dem ganz fabulösen Namen Darimund war. Fantastisch.

Namen hin oder hops. Ich war auf jeden Fall in Darmstadt. Denn hier – wenn man die handelsüblichen Vorurteile gegenüber Verdauungstrakten mal überwunden hat – geht doch allerlei Agradables von statten: Speziell auf der Mathildenhöhe werden immer wieder ziemlich schnieke Ausstellungen, ähem, ausgestellt. Derzeit eine Schau mit dem wirklich unglaublich catchy Titel „Serious Games – Krieg – Medien“.

Vorweg gilt: Ein Kurator muss schon eine ziemliche Luftpumpe sein, um eine Ausstellung mit dem Wort „Krieg“ im Titel komplett in den Sand zu setzen und am Zuschauer wirkungslos vorbeiziehen zu lassen: Auch wenn er ein Mandala rahmt und auf ein beiliegendes Erklärungskärtchen „Saddam Hussein“schreibt, ist der Betrachter betroffen. Oder so ähnlich zumindest.  Diese vorgeframte Betroffenheit heißt aber auch, dass man als Zuschauer schon vor dem Anschauen eine klare Position einnimmt, und zwar eine klare und keine interessant zwiespältige (in dem Falle eine gegen Krieg, schätze ich einfach mal so aus der Hüfte, ähem, geschossen).

Die Kunst ist dann zum Teil gut: Besonders beeindruckend – man muss fast sagen raffiniert – sind die afghanischen Gebetsteppiche, bei denen man erst auf den zweiten Blick erkennt, dass hier Panzergefechte und Maschinengewehre abgebildet sind. Dann gibt es sehr, sehr, sehr viele Bildschirme, auf denen dokuähnliche, verstörende Kurzfilme erinnern, die selbst Arte nicht nachts zeigen würde: Menschen reden hier vor allem über ihre kriegstoten Angehörigen. Zwischen den Projektionen sticht  Hauptaussteller Harun Farocki hervor: Seine Videoprojekte, bei denen er u.a.US-Soldaten beim Training mit Kriegscomputerspielen gefilmt hat, wirken wie ein absurde,  jungsgerechte Vorbereitung aufs Sterben: „Watson is down.“

Viele der Projekte sind aber irgendwie zu holzhammermäßig, zu moralisch und wenig subtil unterwegs: Ein maschinengewehriges Heer holzgeschnitzter Kameras steht stumm herum, irgendwo wird Lara Croft immer und immer wieder umgebracht. Collagen von Martha Rosler kombinieren Kriegsszenen mit Hochglanzwerbung: Das ist spannend, wenn sich Soldaten durch eine Mittelschichtsküche pirschen. Das ist aber auch einfach nur schrill und allzu unmissverständlich, wenn ein glücklicher Familienvater mit Sohn und einem Spielzeugflugzeug spielt, während um ihn herum Kämpfe und Verwüstung sind. Hier finden sich ein paar Bilder der Installationen.

Insgesamt lässt die Ausstellung gerade durch moralischen Anspruch und ihren Willen zur Medienkritik dem Betrachter wenig Spielraum:  Den Begriff des Mediums über Serious Games und politische Berichterstattung hinauszudehnen, hätte der Ausstellung gut getan und die Moral zu Gunsten der Kunst entschärft: So hätte mich neben einer Momentaufnahme der heutigen Berichterstattung z.B. auch interessiert, wie sich die Darstellung von Kriegsszenen in der Kunstgeschichte bis heute entwickelte. Auch über ästhetisierte Gewalt wird nicht gesprochen, obwohl man damit oftmals auch den Betrachter wunderbar involvieren und berühren kann – nämlich dann, wenn man diesem z.B. klarmacht, dass es ihm eigentlich Spaß macht, Gewaltorgien in Quentin Tarantino-Filmen zu sehen. Ein Erfahrungsbericht von einem betroffenen Kriegsopfer und daneben einen Kampf aus einem kampfigen Film oder so ähnlich wären zwar ziemlich provokant,  hätten der Ausstellung aber vermutlich auch ziemlich gut getan und den Betrachter auf eine gute Weise irritiert.

Fazit: Trotz Panzer-Teppichen und Harun Farockis interessanten Projektionen weiß man insgesamt nach dem Besuch der Ausstellung nur einmal mehr, dass man gute Gründe hat, gegen Krieg und Gewalt im Allgemeinen zu sein. Das wusste man aber vor dem Besuch – nur ist das Wissen in diesem Moment begleitet von einem betroffenen Nachgeschmack. Der aber vergeht dann auch wieder relativ schnell.

Infokasten: Serious Games, Mathildenhöhe in Darmstadt, noch bis 24. Juli 2011. Hinkommen ohne Auto: Ab Hauptbahnhof mit dem Bus F und bis Mathildenhöhe fahren (Achtung: der Bus fährt fahrlässigerweise nicht am Busbahnhof am Haupteingang, sondern am Hinterausgang des Bahnhofs!).

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Notizen über den Hunsrück: Balisto, Zecken und ein Waldmeister

Weil  ja mittlerweile in deutschen Fußgängerzonen auch das letzte Großstadtkind eine Jack Wolfskin-Jacke trägt, müssen wir auch mal in die Natur. Wir mieten deshalb für zwei Tage eine Hütte im Hunsrück, um wandern zu gehen. Die Hütte ist sehr empfehlenswert, sie wird von einer netten Familie vermietet und ist billig (12 Euro/ Nacht & Person, wenn man zu fünft anreist). Sie ist unfreiwillig retro eingerichtet, hat einen Kamin und eine Sauna und riecht ein bisschen muffig – so wie es eben ein bisschen muffig riechen muss in einer Ferienhütte.

Tag 1: Wir laufen mittags los, ohne Plan, nur mit einer vagen Beschreibung der Haus-Vermieterin für eine ca. sieben Kilometer lange Strecke. Wir wohnen in Dommershausen, wollen zur Burg Waldeck und dann über Steffenshof wieder zurück (oder so ähnlich?! Die unzähligen Mini-Orte hier haben alle Namen, die man sofort verwechselt). Die wenigen Wanderer, die uns begegnen, sind alle älter als wir und haben richtig coole Wanderstöcke. Wir haben nix, nur dann am Abend eine Zecke, die am nächsten Tag ein Dorfarzt entfernen wird.

Unsere Füße werden taub in kalten Flüssen und wir lassen Steine übers Wasser flippern. Wir essen Balisto, die ultimativ pseudo-gesunde Süßigkeit für alle, die richtige Müsliriegel doof finden. Die Burg Waldeck thront als schnieke Ruine über waldigen Tälern und ist in den 1960er Jahren sogar ziemlich berühmt geworden durch ein Liedermacher-Folklore-Festival, das es zwar längst nicht mehr gibt, aber bis heute als erstes deutsches Festival überhaupt gilt. Abends haben wir Beinmuskelkater und Farbe im Gesicht (oder glauben das zumindest).

Urwald im Hunsrück!

Zum Abendbrot essen wir viel, denn Wandern macht einen hungrig und legitimiert kulinarische Ausschweifungen. Wir haben alles mitgebracht, einen Laden gibt es weit und breit nicht. Danach sind wir so im Eimer, dass uns auch stilechter Jägermeister nicht mehr wachkriegt.

Tag 2: Heute wollen wir 17 Kilometer schaffen, durch eine undurchdachte Verlauferei werden daraus gut 20. Wir sind also orientierungsloser, dafür aber besser vorbereitet als am Tag zuvor: Unsere Haut ist bedeckt von einem Film aus Schweiß, Sonnencreme und Anti-Zecken-Spray. Wir wollen in Trais an der Mosel starten. In Trais essen wir ein Eis, die Kugel kostet sagenhafte 60 Cent! Die Sorten indes verweigern sich jedem modernen Anspruch: Auf dekadent mondäne Ausschweifungen wie Cookies and Cream, Snickers, Raffaelo und andere Flausen wird in der Provinz verzichtet, man besinnt sich lieber auf bewährt Solides: Schokolade, Waldmeister, das Maximum der Exotik ist Joghurt-Eis.

 Ich schlage mir das Knie auf, es blutet. Sich-das Knie-Aufschlagen ist mir schon seit mindestens 15 Jahren nicht mehr geschehen, der Schmerz ist also geschwängert von süßen Kindheitserinnerungen an Schotter-Spielplätze und somit ein guter. Wir sammeln Waldmeister, um ihn abends in Sekt zu werfen. Das wird später tatsächlich fantastisch schmecken. Wir passieren ein Nonnen-Kloster, um das Kloster herum sind die Tannenzapfen auf dem Waldboden phallusartiger als anderswo – was hat das nur zu bedeuten? Wir laufen ein Stück vom Jakobsweg, uns begegenet ein einzelner einsamer Mann, mit dem wir uns unterhalten: Das Wandern verbindet uns! Wir singen ein bisschen –  aber nur, wenn keiner in der Nähe ist.

On the run mit Socken in Sandalen!

Wir fahren zurück zur Hütte in der Abendsonne und hören Ada, Elektronisches passt gut zu Landstraßen und zum Fahrgefühl an sich. Wir gucken uns die Rapsfelder an und sprechen darüber, dass wir hier zwar nicht für immer leben, aber durchaus wiederkommen möchten. Nachts sind wir mitten im friedlichen Wald und der umschließt uns sicher und dunkel. Die Sterne am Himmel befrieden einen innerlich. Am nächsten Morgen kleben lauter riesige Faltertiere an der Hauswand.

 Das Schöne am Wanderausflug: Er fühlt sich alles gar nicht so fehl am Platz an wie eine Jack Wolfskin-Jacke in einer bundesdeutschen Großstadt, sondern ziemlich gut und ehrlich. Nur manchmal zerschneiden tieffliegende Ryan Air-Flugzeuge die Idylle im Hunsrück. Frankfurt Hahn ist nicht weit entfernt. Zurück in Mainz kommt einem die Stadt absolut überfüllt vor.

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Sponti-Spruch & Warten auf Godot

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Notizen über Südtirol – Fliegende Sofas & DJ Ötzi

Agradabel ist es, in die Schneeferien zu fahren! Aufregend dabei: Die gewagten Farbkombinationen von Skianzügen. Vor allem ältere männliche Semester zeigen wenig Scheu, wenn es um enggeschnittene, glänzige lila Einteiler mit Schulpterpolstern aus augenkrebsigem Ballonstoff geht. „Warum auch nach 25 Jahren wegschmeißen, wenn der Anzug doch noch im TOP-Zustand ist?!“ denken sich diese Männer, die sich in wabhalsigem 1980er-Style fast genauso waghalsig die schwarzen Pisten runterschmeißen. Kleine Neon-Farbkleckser vor einer weißen Naturkulisse. Was für ein Panorama! Von diesem gelungenen Bad Taste-Style kann sich jeder Hipster mit neonfarbenem Stirnband eine Scheibe abschneiden. Es sollte ein Fashionblog nur für Vintage-Pisten-Mode geben! Ich suche eines, finde aber keines. Immerhin: Bei Willyfinder gibt es zwar kein Vintage, dafür wird hier aber zumindest versucht, 1980er Schneekluft aktuell aufzupeppen.

Sessellifte sind voll cool und gar nicht langweilig, wenn man sich klarmacht, dass man hier gerade eigentlich auf einem Sofa durch die Luft fliegt.  Aus dem Lift fällt der Blick auf eine Buckelpiste. Das bunte Treiben sieht aus dem Lift dann aus wie in einem „Wo ist Walter-Buch“: Köpfe stecken im Schnee, überall wird gekugelt, mancherorts gefallen und irgendwer trinkt Tee:

 

Auf den Almen kann man snacken und „Heiße Oma“ (hört sich eklig an, ist nach einigen Litern auch brechreizend: Eierlikör mit Sahne) trinken. Die Musikunterhaltung dabei ist 26z (also Gegenteil, von 1a). Schlüprige Malle-Fastnachts-Schlager dröhnen die Piste hoch. Und wenn man nach diversen Heißen Omas anfängt, beim Fliegerlied mitzuperformanen, sollte man lieber schnell gehen. Ein Kleinkind im rosa Skianzug liegt auf der Piste und streikt gegen einen übermotivierten Vater-Lehrer. Heut ist so ein schöner Tag.

Besuch im Archäologie-Museum in Bozen, wo es derzeit eine ziemlich entertainende Sonderausstellung mit dem ungleichsam lamen Titel Ötzi 2.0 gibt.  Der rund 5000 Jahre alte Ötzi liegt in einer Kühlkammer und dabei kann man ihn durch ein Bullauge beobachten. Er ist klein (was auch die Verniedlichung „Ötzi“ für einen mumifizierten Leichnam irgendwie rechtfertigt – ist schon putzig, dieses kleine Ötzilein) , aber nicht dem Alter angemessen verschrumpelt, sondern glänzt bräunlich, als hätte er gerade  in Barbecue-Soße gebadet. Auch die Fellmütze der greisen Gletschermumie  kann man bestaunen, sie ist sehr gut erhalten, aber dafür nicht in Barbecue-Soße gebadet. Auf einer Pinnwand kann man seinen Museumsbesucher-Dank hinterlassen. Über das Folgende informiert einer der zahlreichen Dankeszettel:

Dann gibt es noch eine interessante Abteilung um den Merachandise-Hype zum Ötzi: CDs von DJ Ötzi (dagegen ist das Fliegerlied dann irgendwie schon wieder zurückhaltende, geschmackvolle Lounge-Musik)  und Briefe von Menschen, die glauben, die Reinkarnation von Ötzi zu sein, werden ausgestellt: Eine Frau hat sogar ein Buch über ihr Leben als Ötzi geschrieben, der Titel: „Ich war Ötzi. Die Botschaft aus dem Eis.“ Ich überlege, ob sich ein Kauf eventuell lohnt, doch mir fallen keine Gründe dafür ein.  Auch gibt es eine Schokoladentafel in Ötzi-Form – wie geschmacklos und interessant! Ich beschließe, „Ötzi – The Iceman“ auf Facebook zu liken. Das geht nämlich und jetzt, wo ich ihn kenne, mag ich ihn wirklich.

Bozen und Meran im Frühling: Die Leute haben das Savoir Vivre drauf und auch einfach das Geld dazu: Hier läuft man nicht, man flaniert. Man schüttet nicht hektisch Flaschenbier, sondern bertinkt sich mit Klasse und Aperol Spritz. Man redet mal deutsch , mal italienisch (aber keine der beiden Sprachen klingt für hochdeutsche Ohren von Südtirolern gesprochen ganz korrekt – das Deutsche hat hier irgendwie manchmal komische Artikel, dem Italienischen fehlt der Singsang).

Ich sitze in der Sonne, esse ein Stück Sacher-Torte und stelle mir vor, dass in 5000 Jahren ein Ötzi mit glänzendem lila Skianzug in einer Erdspalte in den Dolomiten gefunden wird. Das hätte schon was.

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